Freitag, 16. Dezember 2016

Wiedersehen, Teil II









 
Diesmal aber wirklich! Selbst wenn ich mir das das letzte Mal, das letzte Wiedersehen nur eingebildet habe, diesmal ist sie es wirklich. Nadine!

Ich gehe – wie immer nichts ahnend – durch die Unterführung am Bahnhof, um meinen Zug nach Rheinbach zu nehmen, den Blick halb gesenkt…und trotzdem…sehe ich sie. Plötzlich kommt sie mir entgegen. Face-on, wie der Engländer sagen würde. Frontal entgegen. Wie bei einem Frontalunfall. Kommt glaub ich gerade um die Ecke, die Rolltreppe von den Gleisen runter. Aus einem Zug aus Bad Godesberg? Oder aus Köln? Godesberg kann es ja nicht sein, die fahren ja von hier erst dahin. Also aus der Richtung Köln. Was macht sie denn da?


Ich kann auch nicht mehr ausweichen. Mit meinem Körper nicht und mit meinen Augen, meinem Blick noch weniger. Gucke ihr trotzdem nicht in die Augen, sehe ihre Augen noch nicht einmal. Wie gerne würde ich ihr in die Augen gucken. Mitten rein, in ihre Seele. Wenn sie eine hat. Wenn wir eine haben.

Stattdessen sehe ich nur, wie sie eine Handbewegung macht. In meine Richtung. Zu mir?

Eine komische Geste mit der Hand (meint sie wirklich mich oder bilde ich mir das nur ein?). So eine Geste, wo man der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gequetscht wird – ich weiß nicht, ob Sie das kennen –, den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger durchsteckt, so dass er auf der anderen Seite rausguckt. Wie Mario das damals gemacht hat, um mir zu zeigen…

Oder irgend so was macht sie mit der Hand, irgend so eine Geste. So was wie: „Weiche von mir, Teufel, weiche von mir!“

Oder will sie mir damit sagen, dass ich gefickt bin? Dass sie mich kriegen wird, mich platt machen wird, mich ficken wird (hoffentlich bald!)? Was weiß ich denn?

Bin ich aber nicht, gefickt, meine ich. Gefickt schon (das sind wir alle [von Geburt an]), aber eben nicht in diesem Sinne, so wie Mario das damals meinte. Leider nicht, Schatzi! Leider nicht, ¡tesoro! ¡Mi todo todo! ¡Mi ñequi ñequi! Nein, gefickt worden bin ich schon lange nicht mehr…obwohl ich mich jeden Tag ein bisschen gefickter fühle. Wie das sprichwörtliche Eichhörnchen. Nur ohne Gleitcreme.

Sie macht diese Geste

Und was mache ich? Ich gehe einfach weiter. Gehe einfach stur weiter. So als hätte ich sie nie gesehen. Sie nie geliebt. Als wüsste ich nicht ganz genau, wie sehr ich sie immer noch liebe.

Und trotzdem gehe ich vorbei. So als wäre sie Luft. Nie da gewesen. Als wäre ich nie 19 Jahre mit ihr verheiratet gewesen. Hätte keine Tochter mit ihr. Gehe einfach weiter und denke: Das wär doch jetzt der richtige Moment gewesen, um mit ihr zu reden. Vernünftig

Klar

Um mit ihr über María zu reden. Natürlich nur über María. Klar. Nicht über uns. UNS. Wo denken Sie denn hin?? Denke es, gehe aber weiter. Ohne zurückzugucken. Fahre die Rolltreppe hoch, gehe den Zug entlang, bis ich ganz vorne bin und setze mich hin. Und denke: Boah, bist du doof! Wie doof kann man denn sein?! Seit Monaten willst du nichts mehr als mit ihr zu reden. Endlich, nur einmal mit ihr zu reden. Natürlich nur über María. Natürlich.

Und dann lässt dir diese Gelegenheit entgehen?! Bist du denn des Wahnsinns?!

Was soll ich denn machen…deiner Meinung nach? Hinter ihr her sabbern? Ihr nachrennen? So wie früher, wie ein Besessener, ein Stalker? In fünf Minuten – bis mein Zug fährt (nimm den nächsten!) – ALLES besprechen, ALLES, all das, wofür zwei Jahre eisiges Schweigen nicht gereicht haben? (ok, nimm den übernächsten Zug)

Aber vielleicht hättest du eine Chance gehabt…eine Chance für die Liebe. Vielleicht hätte sie ja mit dir geredet–

Glaube, Hoffnung, Liebe, oder was?! Glaube, Hoffnung, Liebe, mein Arsch! Glaube, Hoffnung, Liebe, my fucking arse!

Und wenn du sie jetzt nie wieder siehst?! Nie wieder?! Nie mehr, in deinem ganzen Leben nicht?! Wenn das das letzte Mal war…?!

Dann war es das eben.

Aber du liebst sie doch noch?

Mit jeder Faser meines geschundenen, verbauten Körpers. Mit jeder einzelnen verfickten Fettzelle meines Körpers.  Natürlich liebe ich sie noch

Also…warum lässt du sie dann gehen?? Einfach so

Darum, Mann. Und jetzt nerv nicht!

Du mich auch



sie sieht gut aus, besser als ich dachte

und sie ist wütend, das sieht man

das freut dich

genauso wütend wie du

sexy









Später, auf der Arbeit, fällt mir dieser Witz ein, den ich gestern mit María gemacht habe, Keine Ahnung, wie der noch mal ging. Keine Ahnung. Irgendwas mit: „Ich möchte auch einen Bauernhof. Mit Esel. Kann man den Esel auch mieten?

Einen Esel, nicht zwei





Noch später, nicht mehr auf der Arbeit, denke ich: Das kann doch kein Zufall sein. Das ist doch bestimmt kein Zufall. Das ist doch bestimmt gewollt, dass wir gerade heute wieder aufeinander treffen. Gottgewollt. Schicksal.




Das ist bestimmt mein Schicksal, das mich mal wieder ficken will. Mein verficktes Schicksal, dass mir mal wieder beweisen will, vor Augen führen will,  wie klein und unbedeutend ich doch bin, wie klein und unbedeutend mein Leben doch ist



Nein, das kann wirklich kein Zufall sein